Mittwoch, 3. Dezember 2014
Nieselregen
Immer hat sie versucht unterzugehen, in der Menge zur verschwinden, um nicht ihr Opfer zu werden und vielleicht unauffällig ein Teil von ihnen zu werden. Ihre Träume und Leidenschaften hat sie unterdrückt, ihnen nur Zuhause Luft zum Atmen und reifen gegeben. Es war anstrengend. Es hat sie kaputt gemacht. Sie war am Boden und wollte nicht mehr aufstehen. Keinen Schritt mehr gehen. Nicht vor ihnen weglaufen, aber auch nicht entgegen. Unsichtbar sein. Sie wollte einfach leben. Die Anderen haben trotzdem einen Bogen um sie gemacht, sie überhaupt nicht beachtet. Wie Nieselregen. Wie Staub. Wie die kleine Wolke neben der Großen; die Große, die die Sonne verdeckt.
Sie hat lange gebraucht um zu verstehen, dass ihr diese Methode nicht hilft, dass es sie nur unglücklich macht. Und dass man, wenn man versucht unauffällig zu sein, am auffälligsten ist.
Da färbte sie sich die Haare blau, trug die Klamotten die keiner trug, stand zu ihrer Lieblingsmusik und lachte über das, was sonst keiner lustig fand. Alle schauen sie an. Fangen an über sie zu reden, nehmen sie wahr. Sie finden sie interessant. Sie ist nicht langweilig, sie ist anders.
Sie ist glücklich.
Sie will lieber die Große Wolke sein, die die Sonne, den Scheinwerfer der Cliquen, verdeckt. Ein Gewitter, das Einfluss auf den Alltag der Anderen nimmt, will sie sein. Lieber merkwürdig, als langweilig. Denn wer merkwürdig ist, wird so schnell nicht vergessen. Langeweile dagegen macht vergesslich, zu mindestens bei Menschen.



Dienstag, 18. November 2014
Ein gewiser Grad Verrücktheit
Laut lachend tanzen sie zu der Musik des Straßenmusikers. Stehen singend im Regen und warten neben der Bushaltestelle auf den Bus. Umarmen fremde Menschen auf der Straße. Setzen sich in der Fußgängerzone mitten auf den Boden und picknicken mit ihren Starbucks Kaffees. Schminken sich in Läden mit Testprodukten. Veranstalten Modenschauen vor den Umkleidekabinen. Machen im Elektronikgeschäft Bilder mit allen möglichen Kameras und Handys. Schreien vom Dach des Kaufhauses ihre Lieblingsfarben und laufen im Winter mit Sonnenbrillen durch die Gegend.
Die Leute halten sie für verrückt. Schütteln belustigt ihre Köpfe, wenn sie an ihnen vorbeilaufen.
Ich nicht. Ich wäre auch gerne so. Ich würde gerne über die Menschen lachen, die über mich lachen. Möchte mich nicht darum scheren, was andere von mir denken und über mich sagen. Mich nicht von den Menschen ausbremsen lassen, die es selbst nie ausprobiert haben.
Ich will den Moment leben.
Alles auskosten, was man auskosten kann, das nichts kostet. Mit nichts alles machen können, Spaß haben ohne etwas dafür zu geben, nehmen, was einem niemand hinhält. Ich will aus dem Asphalt der Straße eine Sandburg bauen und die Farben des Regenbogens angeln.
Auch wenn das albern und unerreichbar klingt, ist mir egal. Weil es doch genau darum geht, aus dem Unerreichbaren das Erreichbare zu machen, aus dem Wenigen das Meiste, aus dem Schlechten das Gute, aus dem Hässlichsten das Schönste, aus dem Unwichtigsten das Wichtigste. Das ist Spontanität, das ist Freiheit, das alle glauben zu haben, nur weil sie ausgezogen sind.
Jeder strebt nach Karriere, damit sie viel Geld haben, womit sie sich alles kaufen können, was ihnen am Ende nicht mehr bringt, als der reine Besitz, weil sie denken, das macht glücklich. Das ist es was alle wollen. Glücklich sein. Aber wer ist schon glücklich, wenn er sich mit Arbeit zu häuft, Ehrgeiz durch die Luft sprüht und sich aufgibt, weil er denkt, dass er irgendwann für seine harte Arbeit mehr zurückkriegt, als bloß Geld und Ansehen. Alle denken, dass sie dadurch ihr Glück finden, dabei warten sie schon zu lange und ziehen endlose Runden in ihrem selbst gezogenen Kreis.
Ich nicht. Ich will nicht ewig warten, bis mich am Ende meines Lebens das Glück einholt, an dem ich die ganze Zeit vorbei gelaufen bin, weil ich dachte, ich habe noch nicht genug geleistet.
Ich will anders sein. Ich will, während alle vor der Flut weg zurück zum Strand laufen, ihr entgegen rennen und mit voller Wucht mitgenommen werden. Mich treiben lassen, bis ich da ankomme, wo ich nie geplant habe hinzukommen. Ich will nicht die Nacht zum Tag machen, sondern den Tag zur Nacht, in der alle versuchen, sie den Tag werden zu lassen.
„Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.“, hat Erasmus von Rotterdam mal gesagt.
Ja, genau das ist es. Mal nicht nach Navigationssystem fahren, mal einen Tag nicht das Haus aufräumen und stattdessen eine Fahrradtour machen oder ausnahmsweise mal nichts tun. Einfach mal die Steuerung aus der Hand geben. Sehen wohin es einen führt. Vielleicht zum Glück, vielleicht auch nicht. Aber schaden tut es dir auf keinen Fall. Nicht, wenn du den Moment genossen hast.